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Adlershof ESSAY
Journal Juli | August 2016
Die Kunst des Flanierens
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Wenn dereinst ein intelligenter Algorithmus anhand zufällig die Arme hinter dem Kopf gekreuzt, der Blick selbstbewusst, der
aufgenommener Fotos der öffentlichen Szene die repräsentative Körper nicht ganz abgebildet – inszenierte unmissverständliche
Ikonografie für unsere Zeit zu identifizieren haben wird, kommt Erotik. Die Kampagne war höchst erfolgreich, weil sie irritierte
dies heraus: gesenkter Kopf, fokussierter Blick, kontextuelle und mit allem brach, was bislang öffentlich war.
Ignoranz, Isolation in der Mas-
Doch die Irritationen entstan-
se derer, die sich auf eben diese
6 8 12 Weise isolieren, und im Fokus den weniger wegen der öffent-
all dessen: das Smartphone, lichen Zurschaustellung der
Weiblichkeit, als wegen eines
Eingangstor zu den mit einem
diffusen Gefühls der Vertraut-
entrückten Euphemismus be-
INHALT AUS DER REDAKTION zeichneten „soziale Medien“. heit. Genau das war der kleine
Verbunden mit allem und je- Geniestreich: Die Werber hatten
in ihre Bebilderung des luxu-
dem weltweit, in Echtzeit, im
3 ESSAY Wenn der Sommer kommt, wenn Ferien sind, liegt es nahe, sich mit Jetzt. Nur offensichtlich, nicht riösen Dadrunter eine uralte
Die Kunst des Flanierens: Kopf hoch und Blick zurück nach oben dem Naheliegenden zu befassen. Was machen die Menschen eigent- im Hier. Ikonografie integriert, die sicht-
lich, die im Technologiepark Adlershof arbeiten, wenn sie nicht arbeiten bar wurde, wenn man – durch
4 INTERVIEW – am Feierabend, in der Freizeit, am Wochenende? Relaxen (altdeutsch: Geregelt durch die mathema- die Stadt flanierend – den
Im Gespräch mit Annika Huber-Lieske, der Organisatorin entspannen) sie? Oder arbeiten sie durch fürs freie Wochenende bei tische Zurüstung jeglichen Blick auf die oberen Stockwer-
der Adlershofer Firmenstaffel der Familie in der Ferne? Die Vielfalt der Freizeitgestaltung ist groß nächsten Augenblicks als logi- ke der Fassaden richtete, wo
5 MENSCHEN und so individuell wie der Standort insgesamt. Zwar gibt es „Ein Leben sches Replikat des vorangehen- – in eben der Stellung, die das
nach der Arbeit“, aber ganz so scharf wollen die Adlershofer die Trenn-
Der Tüftler: Für Joachim Feierabend ist Elektrotechnik das den, mit virtuellen Navigati- Plakat reinszenierte – Karya-
Lebensthema linien nicht ziehen. Die Arbeit nämlich scheint ihnen Spaß zu machen. onsgeräten der Mehrheitsbe- tiden und Atlanten in steiner-
Dennoch ist es an Wochenenden sehr ruhig in Adlershof, wie Dilek wegung all derer nachgebildet, ner Erotik wirkten. Man sah dies
6 TITELTHEMA Güngör auf ihrem Streifzug feststellt. die unentwegt aufs Gerät star- natürlich nur, wenn man sich,
Schafe in der Wissenschaftsstadt: Ein Ort zum Träumen
Dass Freizeit auch eine Auszeit sein kann (und muss), darauf macht ren. Apps, die einen dorthin wie in seiner inspirierenden
8 NACHGEFRAGT eine App aufmerksam, wie sie Axel Steinhart vom Unternehmen „off- führen, wo auch andere schon Textsammlung „Ermunterung
Es gibt ein Leben nach der Arbeit: Wie verbringen time“ entwickelt hat. Wir sollen wieder „Raum zum Atmen in unse- waren, die einem deshalb ähn- zum Genuss“ der berühmteste
Adlershofer den Feierabend rer hypervernetzten Welt finden“, sagt er. Wie wahr! Schon deshalb, lich scheinen, weil sie Informa- Protagonist dieser vergessenen
10 FORSCHUNG weil wir nur noch auf den Bildschirm unseres Smartphones schauen, tionen folgten, wo wir schon „Kunst des Spazierengehens“,
den Blick starr nach unten gelenkt. Uns „droht eine innovative waren und so fort, was nun Franz Hessel, schrieb: gehen
Heavy Metal ohne Stau: Wie Forscher des DLR den Schockstarre, weil man keine Impulse mehr empfängt, die nicht vorher
Straßenverkehr flüssiger machen – nach dieser abstrakten Ein- ließ. „Eine Schule des Sehens“,
durch die bereits archivierten Datenbestände geprägt“ sind, befindet leitung die kleine knirschende die Hessel später vorführte, als
12 UNTERNEHMEN der Wirtschaftssoziologe Holger Rust in seinem Essay und empfiehlt: konkrete Frage aufwirft, wie „Flaneur in Berlin“, in einem
Bäckers Treibstoff: Was unser Brot so lecker macht Kopf hoch und beim Flanieren wieder das Neue entdecken. Mal Hand
aufs Herz: Beherrschen Sie die „Kunst des Flanierens“? bitte noch sich Kreativität für „Versuch mit Wien“ oder im
14 MEDIEN eine innovative Zukunftsgestaltung nähren könnte. Irgendwann berühmten „Pariser Tagebuch“, das entstand, weil er sich flanie-
Ein Blick zurück: Filmemacher Lutz Pehnert über die Sehr engagiert in ihrer Freizeit ist Annika Huber-Lieske, der organisato- muss dieses System ja im rasenden Stillstand landen. Dann rend von der Aufgabe ablenken ließ, einen Artikel zu schreiben,
Ansagerinnen des DDR-Fernsehens und andere Ostgeschichten rische Kopf hinter der Adlershofer Firmenstaffel. Sie erklärt uns im In- droht eine innovative Schockstarre, weil man keine Impulse und genau dadurch seinen Gegenstand fand.
terview nicht nur, wie sie die Lauffreudigen zum Laufen bringt, sondern mehr empfängt, die nicht vorher durch die bereits archivierten
16 CAMPUS verrät uns auch, wie sie es mit dem Laufen hält. Diese Kunst wird in den nächsten Jahren zusehends wichti-
Pause vom digitalen Dauerfeuer: Adlershofer Psychologen Datenbestände geprägt wären. ger, wenn es darum geht, den Megatonnen von Big Data nicht
haben eine Auszeit-App entwickelt Man kann nicht nur Feierabend haben, man kann auch so heißen,
Was sähe man denn, wenn der Blick sich vom funkelnden Recht- nur das starre Gestänge des Gestrigen zu entringen, sondern
17 GRÜNDER wie der Tüftler Joachim Feierabend, den wir Ihnen vorstellen wollen eck löste und frei umherirrte, dies während man einfach nur so das Neue, das Eigentümliche. Wie es eben jener Blick für das
und der uns auch verrät, was man mit diesem Namen anstellen kann.
Krebstherapie nach Maß: Barron Biomedical arbeitet an Schließlich ist die Sommerzeit Festivalzeit, so auch in der beschau- vor sich hinginge? Ich will die Antwort mit einem Beispiel ein- erotische Motiv der Karyatiden als Vorspiel für eine Werbung des
personalisierter Medizin leiten: Mitte der 1980er Jahre tauchte im Wiener Stadtbild eine 20. Jahrhunderts zeigt. Also Kopf hoch. Blick zurück nach oben,
lichen schleswig-holsteinischen Gemeinde Wacken. Anfang August
18 KURZNACHRICHTEN wird es sehr laut. Abschalten können Sie dort garantiert nicht. Aber Plakatwerbung für Dessous auf, gestaltet als Triptychon, auf auf dass neue Ideen entstehen – nur eine bitte nicht: eine Fuß-
was uns beschäftigt: Was haben ein Heavy-Metal-Festival und das dessen drei Tafeln Cindy Crawford die Kundinnen mit jeweils fessel, die Flaniermeilen zählt!
DLR in Adlershof gemeinsam? einem Wort ermunterte: Trau. Dich. Doch. Crawfords Haltung –
Lesen Sie selbst nach!
Ausführliche Texte und Adlershofer Termine Viel Spaß dabei wünscht Ihnen
finden Sie unter:
Dr. Peter Strunk Prof. Dr. Holger Rust, Wirtschaftssoziologe, Praktiker und Publizist,
www.adlershof.de/journal Bereichsleiter Kommunikation bekannt als Kritiker von Managementmoden.
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