Page 4 - Adlershof Journal November/Dezember 2015
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INTERVIEW MENSCHEN
INTERVIEW



BESSY II 2009 zum Helmholtz-Zentrum
Berlin für Materialien und Energie fusio-
nierten und in Adlershof auch ein Schüler-
labor aufgebaut werden sollte, wusste ich,
dass ich das unbedingt machen wollte – Jean-Pierre de Vera erforscht Leben im All
weil ich „Überzeugungstäterin“ bin. Erklä-
ren macht mir nicht nur Spaß, sondern ich
finde, Wissenschaft kann noch viel mehr
Menschen begeistern, wenn man sie gut
erklärt.

Was hält Sie jung?
Der Umgang mit vielen Kindern. Jedes Kind
denkt anders. Obwohl ich manche Experi-
mente schon über 50-mal gemacht habe,
stellen die Kinder Fragen, über die ich noch
nie nachgedacht habe. Diesen Blick zu be-
Name: Ulrike Witte
Jahrgang: 1967 halten, als wären die Sachen neu, finde ich
Wohnort: Hangelsberg im Land wichtig.
Brandenburg
Beruf: Kristallografin Welche Eigenschaften sind Ihnen wichtig?
Markenzeichen: Langer Haarzopf Ehrlichkeit und Offenheit.

IM GESPRÄCH MIT Wofür können Sie sich begeistern?
Sport ist meine größte Leidenschaft. Ich
spiele Volleyball, ab und zu Basketball und
ULRIKE WITTE trainiere bei der Sportgemeinschaft Han-
gelsberg 47 e. V. die Volleyballnachwuchs-
mannschaft. Es geht mir nicht vordergrün-
Um Forschung zum Anfassen geht es Ulrike Witte. Die Leiterin der Schüler- dig darum, sportlichen Ehrgeiz bei den
labore des Helmholtz-Zentrums Berlin in Wannsee und in Adlershof Zehn- bis Sechzehnjährigen zu wecken. Kälteresistent: Jean-Pierre de Vera während der Antarktisexpedition GANOVEX X (German Antarctic North Victoria Land Expedition)
Ich möchte ihnen den Spaß an der Bewe-
versteht es, physikalische Phänomene so vereinfacht darzustellen, dass auch gung vermitteln. Sehr viel Zeit verbringe
ein Dreijähriger sie begreift. Doch nicht nur beruflich steht der Nachwuchs ich draußen. Etwa auf dem Wasser. Mein Z u Anfang des Jahres hat er die chilenische Atacama-Wüste um – auf Biologie: „Die Chemie war mir doch ein bisschen zu tot.“
bei der sympathischen Sportbegeisterten ganz oben an: Die Dreifachmutter Mann hat zwei Grönlandkajaks gebaut. besucht. Er kennt die Antarktis, hat in der spanischen Sierra de Die Diplomarbeit befasst sich noch mit einem konventionellen
trainiert die Volleyballteens in ihrem Brandenburger Wohnort. Ihren langen Wir wohnen nur 150 Meter von der Spree Gredos auf 3000 Meter Höhe geforscht. Trocken, kalt, dünne Thema der Botanik. Mit der 2005 vollendeten Dissertation
Haarzopf hat sie übrigens nicht aus Eitelkeit wachsen lassen. „Freunde in entfernt, auf ihr paddeln wir uns regel- Luft – wie auf dem Mars muss eine Landschaft beschaffen sein, betrat er dann astrobiologisches Neuland. Er untersuchte, wie
mäßig den Kopf frei.
meinem Bekanntenkreis sind Prosopagnostiker. Sie können eine Person damit Jean-Pierre de Vera sich für sie interessiert. Beruflich Flechten unter Bedingungen intensiver Strahlung, geringen
nicht anhand ihres Gesichtes erkennen: Wenn sie meinen Zopf sehen, Wann haben Sie zuletzt etwas Neues jedenfalls. Luftdrucks und niedriger Temperaturen gedeihen.
wissen sie, ich bin die Ulrike.“ ausprobiert?
Beruflich mache ich das andauernd. Lese De Veras Profession, die er seit 2009 am Institut für Planeten- Seit Anfang des Jahres ist de Vera Mitglied im Adlershofer
Adlershof Journal: UniLab, Kristall-Lab, Müssen Mädchen in MINT-Fächern ich etwa in der Zeitung „Physik in der Schu- forschung in Adlershof betreibt, ist die Astrobiologie. Außer- Rotary-Club, der sich einmal wöchentlich zu Vorträgen und Dis-
DLR-SchoolLab und weitere – mit besonders gefördert werden? le“ von einer Idee für ein Experiment, muss irdisches Leben – das glitschig-glibbrige oder pelzige Personal kussionen im örtlichen Dorint-Hotel trifft. Der 42-Jährige zählt
Schülerlaboren ist Adlershof gut versorgt. Grundschüler gehen noch sehr unbefan- ich das immer gleich selbst ausprobieren. der Star-Wars-Filme ist damit nicht gemeint. Die Fragen, denen in diesem Kreis zu den Jüngeren. Die Rotarier kümmern sich um
Gibt es eine so große Nachfrage? gen an wissenschaftliche Themen ran. Bei Privat habe ich diesen Sommer das erste de Veras Wissenschaft nachgeht, sind vergleichsweise unspek- Erdbebenopfer in Nepal, um die Bewohner der Flüchtlingsun-
Ulrike Witte: Ja, Experimentieren an außer- älteren Schülern, die zu uns ins Schüler- Mal eine Klettersteig-Hüttentour in den takulär. Können einfache irdische Organismen unter Umwelt- terkunft in der Adlershofer Radickestraße, um internationalen
Brenter Dolomiten gemacht und mich mit
schulischen Lernorten ist stark nachge- labor kommen, beobachte ich die Tendenz, meiner Höhenangst auseinandergesetzt. bedingungen des Weltraums existieren? Ist es vielleicht sogar Schüleraustausch: „Es ist schön, dass man sich gesellschaftlich
fragt. 5.500 Schüler ab Klasse 5 haben wir dass Mädchen weniger selbstbewusst Die Kulisse ist großartig und die Konfron- denkbar, dass sich eigene Lebensformen in extrem kargen und einbringen kann.“ Wenn auch die häufigen Dienstreisen in un-
allein im Adlershofer HZB-Schülerlabor in und zurückhaltender auftreten. Veran- tationstherapie war hilfreich. eisigen, hier und da auch eruptiven Biotopen entwickeln wie auf wirtliche Weltgegenden derzeit dazu weniger Zeit lassen als de
den letzten fünf Jahren betreut. Dennoch staltungen wie der Girl´s Day und der dem Mars oder dem Saturnmond Enceladus? Vera sich vielleicht wünschen würde.
fühlt es sich für mich an „wie ein Tropfen Mädchen-Technik-Kongress sind daher Zur Arbeit kommen Sie mit … In jungen Jahren war er passionierter Radsportler, kann sich
auf den heißen Stein.“ Innerhalb von zwölf unverzichtbar. … dem Auto, weil das am schnellsten geht. Enceladus ist ein vergleichsweise winziger kartoffelförmiger
Stunden nach Bekanntgabe des Halbjahr- Ich wohne 45 km entfernt von Adlershof. Himmelskörper aus porösem Gestein. Rundherum von Wasser noch immer für die Tour de France begeistern. Wandern ist eine
programmes waren bereits die Termine bedeckt und von einer Eiskruste umschlossen. Damit nicht ge- bleibende Leidenschaft. In diesem Jahr im Wallis, im vorigen auf
ausgebucht. Sie haben das Adlershofer HZB-Schüler- Was können Sie überhaupt nicht? nug: Regelmäßig brechen Geysire durch die Eisschicht. Es rumort Teneriffa. Auf der Hochzeitsreise in Norwegen. Es gibt eben auch
labor 2010 aufgebaut. Wie kam es dazu? Haushalt und Küche sind nicht meine im Inneren des Mondes. „Er hat eine seit Jahren aktive Südhemi- für Astrobiologen mehr als die Atacama. Oder den Enceladus:
„Blick in die Materie“ heißen die beiden Ich habe Kristallografie studiert. 1993 be- Steckenpferde. sphäre. So eine Welt ist einfach bizarr“, sagt de Vera, dem, wer „Dieser Planet“, sagt de Vera, „ist so wunderschön.“ wd
HZB-Schülerlabore. Worum geht es da? gann ich am Hahn-Meitner-Institut (HMI) ihn so reden hört, ohne weiteres glaubt, dass ihm Enceladus
Unsere Themen sind Solarenergiefor- in Wannsee mit Neutronenstreuung zu Was fällt Ihnen zum Stichwort Teilen ein? nicht minder vertraut ist als die Atacama.
schung, Interferenz, Materialforschung, forschen. Nach der Promotion 1996 hab Wir teilen mit unseren Nachbarn ihren Hund
Licht und Farben sowie Magnetismus und ich mich um den Familienzuwachs ge- Nanuk. Das ist ein Alaskan Malamute, Der Weltraum habe ihn schon als Kind fasziniert: „Ich wollte
Supraleitung. Neben den Workshops ha- kümmert und ab 1999 in Teilzeit für die ein Schlittenhund. Er ist mir sehr ans Herz immer Astronaut werden.“ Stattdessen zog es den gebürtigen
ben wir eine Schüler-Arbeitsgemeinschaft TU Dresden am HMI in Rahmen einer gewachsen. Bei unserem Wochenendspa- Ratinger 1994 zunächst zum Studium der Chemie ins nahe
und bieten Lehrerfortbildung an. Kooperation gearbeitet. Als das HMI und ziergang ist er oft dabei. gelegene Düsseldorf. Nach zwei Semestern sattelte er dort


Saturnmond Enceladus
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