Page 6 - Adlershof Journal November/Dezember 2015
P. 6
TITELTHEMA





BESSY II ist ein Großgerät. So etwas kann sich kaum eine Hochschule oder Forschungsein-
richtung leisten. Deshalb ist Teilhabe angesagt: Forscher aus aller Welt kommen nach Adlershof,
um BESSYs brillante Photonenpulse für ihre Experimente zu nutzen. Das ist sinnvoll, denn:
Wo Forscher unterschiedlicher Disziplinen zusammenkommen, teilen sie ihr Wissen – zu gegen-
seitig höherem Nutzen. Im Forschungsnetzwerk IRIS Adlershof wird dieses Prinzip seit 2009
konsequent und sehr erfolgreich umgesetzt.




D er neue Brückenprofessor kam am 1. Oktober. Emil List- Chemikerin Franziska Emmerling von der Bundesanstalt für Materialforschung Yan Lu und Frank Polzer am Cryo-Transmissions-Elektronenmikroskop des JLSR, mit
Kratochvil von der Technischen Universität Graz wechselte und -prüfung analysierte Katalysatorprozesse mithilfe von Röntgenstrahlung dem sehr kleine (~10 Nanometer) Strukturen sichtbar gemacht werden können
an die Berliner Humboldt-Universität (HU). Mit Brückenbau
im engeren Sinn befasst er sich aber nicht. List-Kratochvil Auch hier basiert das Teilen auf viel Organisationsarbeit. Halb-
baut vielmehr Brücken für das interdisziplinäre Forschungs- Teilen mit Struktur jährlich berät ein 80-köpfiges internationales wissenschaft-
netzwerk IRIS Adlershof. Je zur Hälfte lehrt und forscht er am liches Gremium über jeweils hunderte eingegangene Propo-
Institut für Physik und am Institut für Chemie – und widmet sals von Forschern aus aller Welt, vergibt Noten und diskutiert
sich hybriden Bauelementen. Es geht um Fusionen organischer strittige Fälle. „Hier entscheidet sich, wer Messzeiten bekommt“,
und anorganischer Materialien, in die optische Industrie und so Vollmer. Um die begehrten Experimentierplätze an der
Elektronikbranche große Hoffnungen setzen. Und es geht Photonenquelle rund um die Uhr auslasten zu können, takten
um das Miteinander nasschemischer Verfahren mit dem Vollmer und ihre Kollegen die Abläufe minutiös durch. Eine Fül-
trockenen in Vakuumkammern betriebenen Aufwachsen kris- le von Leitfäden, Sicherheitsnachweisen und im Vorfeld frist-
talliner Halbleiter. So gesehen muss der neue Professor doch gerecht einzureichender Anträge sorgt dafür, dass Teams hier
Brücken bauen: zwischen bisher strikt getrennten wissen- gründlich vorbereitet ankommen. Denn damit das Teilen funk-
schaftlichen und verfahrenstechnischen Lagern.
tioniert, braucht es vor allem eins: Struktur. pt
IRIS Adlershof steht für „Integrative Research Institute for the
Sciences”. Seit 2009 arbeitet es an der Institutionalisierung
integrierter Spitzenforschung über die Fächergrenzen der Phy-
sik, Chemie, Computer Sciences und Mathematik hinweg. For-
schungsfelder sind: „Hybridsysteme für Optik und Elektronik“
sowie „Raum-Zeit-Materie“. Im Zentrum steht die Adlershofer
Geschäftsstelle um Nikolai Puhlmann, die den strukturellen
Rahmen für die vernetzte Forschung schafft – und ihr ge-
meinsam mit IRIS-Sprecher Prof. Jürgen P. Rabe eine Stimme
in den Verwaltungsabläufen und der Mittelverteilung der








Hochschule gibt. Zudem unterstützt sie die Forscher des Netz- Wo teure Instrumente, Geräte und Anlagen angeschafft wer-
werks bei den Formalien rund um die Drittmitteleinwerbung. den müssen, gilt in der öffentlich finanzierten Forschung das
Kurz: Sie klemmt sich dahinter, dass interdisziplinäre Forschung Gebot des Teilens. So ist es im Joint Laboratory for Structural
nicht länger durch die Raster fällt, weil Verwaltungsdenken in Research (JLSR) und im Open Access Laboratory (OPAL) for
Fachbereichen keinen Platz und keine Mittel für sie vorsieht. Advanced Materials. Die in IRIS vernetzten Institute von HU,
Technischer Universität Berlin und Helmholtz-Zentrum Berlin
Das Teilen von Wissen und die Zusammenarbeit über alle (HZB) können darauf zugreifen. Sie stehen auch Start-ups und
Grenzen hinweg – also Lehrstühle, Fachbereiche, Institute, ver- externen Industrieforschern offen.
schiedene Berliner und nicht zuletzt auch internationale Univer-
sitäten – will organisiert sein. „Wir koordinieren den Austausch Erst recht gilt das Prinzip des Teilens an Großgeräten wie
der Wissenschaftler, organisieren Kongresse und Reisen und BESSY II. Jährlich führen an den Strahllinien (Beamlines) der
beantragen Mittel für die Infrastruktur“, sagt Puhlmann. Mit brillanten Photonenquelle 700 bis 800 Forschergruppen Expe-
Erfolg. So stellen der Bund, das Land Berlin und die HU insgesamt rimente durch. Etwa 60 Prozent kommen aus deutschen Hoch-
44 Millionen Euro für einen Neubau in Adlershof bereit, in dem schulen, 30 Prozent aus dem europäischen Ausland, der Rest
IRIS ab 2018 Büros und Labors beziehen wird. Darin millionen- von noch weiter her. „Manche Beamlines sind um Faktor sechs, Nachwuchswissenschaftler lernen an der Beamline for Education
KOSMOS Summer University 2014: Generations- und disziplinenübergreifender schwere Geräte – um mit neuen Verfahren neue hybride Materi- andere um Faktor 1,5 überbucht“, berichtet Antje Vollmer, die and Scientific Training (BEST) bei BESSY das Experimentieren mit
Wissensaustausch alien und Bauelemente realisieren zu können. am HZB den Zugang zu BESSY II koordiniert. Synchrotronstrahlung



6 Adlershof Journal | November_Dezember 2015 Adlershof Journal | November_Dezember 2015 7
   1   2   3   4   5   6   7   8   9   10   11