Page 5 - Adlershof Journal Mai/Juni 2015
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INTERVIEW
INTERVIEW MENSCHEN

Sie ist Physikerin, Materialforscherin, Kristallzüchterin.
Die sportliche Mitvierzigerin Jutta Schwarzkopf will die
Welt schadstofffreier machen, ein bisschen zumindest.
Dafür lässt sie am Leibniz-Institut für Kristallzüchtung Immer größer, immer weiter, immer mehr? Kolja Bailly hat es in seinen
(IKZ) kristalline Schichten – so dünn wie ein Tausendstel bisherigen Unternehmerjahren anders erlebt. „Kein kontinuierliches
eines Haares – wachsen. Mit Berlin ist sie allerdings auch
nach 18 Jahren nicht richtig warm geworden, sagt die in Wachstum“, eher „Höhen und Tiefen“. In guten Zeiten bis zu zehn
Duisburg geborene Fußballbegeisterte und ambitio- Mitarbeiter. In schlechten nur zu dritt. Derzeit „kleiner, als wir schon
nierte Läuferin. Als zweifache Mutter managt sie Job waren“, aber „inzwischen flexibel und spezialisiert aufgestellt“, sagt er.
und Familie souverän.
Adlershof Journal: Woran forschen Sie momentan?
Jutta Schwarzkopf: In unserer Arbeitsgruppe arbeiten wir an
der Entwicklung neuer Materialien, die das giftige Blei-Zirkoni-
um-Titanat (PZT), das etwa als nichtflüchtiges Speichermaterial
in Computern und Einspritzsystemen von Autos verwendet wird,
ersetzen könnten. PZT ist seit 2006 in Europa zwar verboten,
wird aber mangels Alternativen mit Ausnahmegenehmigungen Kolja Bailly und Peter Kock entwickeln lernende Software
immer noch verwendet. B
ailly und sein Partner Peter Kock sitzen
Dazu lassen Sie dünne Schichten wachsen? am Konferenztisch im Erdgeschoss des Sechs Kilometer über die Rennbahn in parks, die wissen möchten, wie viel Strom
sie am nächsten Tag ins Netz einspeisen
Karlshorst, durch Dreck, Eiswasser, über
Ja, wir züchten Alkali-Niobate als Schichten, in die wir Verspan- „Zentrums für IT und Medien“. An der Vier-Meter-Wände. Ein Hindernislauf, den können.
nungen eingebaut haben. Diese entstehen durch Abscheidung Wand eine Urkunde, mit der die Techni- die Veranstalter als „ultimative Heraus-
einer dünnen kristallinen Schicht auf einem gitterfehlange- sche Universität (TU) Berlin ihre Firma forderung für Körper und Geist“ rühmen Eine herkömmliche Methode wäre, aus
passten kristallinen Substrat. Damit ist es uns gelungen, blei- dem statistischen Durchschnitt von
freie Kalium-Natrium-Niobat-Schichten mit guten funktionellen SOTA SOLUTIONS als „exzellentes Start- und als „Gelegenheit, über sich selbst hi- Witterungsverhältnissen und Leistungs-
Eigenschaften aufzuwachsen. up“ ausgezeichnet hat. Der Titel setzt vo- nauszuwachsen“. Ein Treffpunkt für „viele fähigkeit der Module Schätzwerte zu be-
raus, dass ein Unternehmen mindestens Leute, die gerne durch den Schlamm rechnen. Die Sota-Lösung besteht darin,
Büro oder Labor – wo verbringen Sie die meiste Zeit? Name: Jutta Schwarzkopf zwei Jahre am Markt ist, was höchstens robben“, so sieht es Kock. diese Daten durch ein neuronales Netz zu
Als Gruppenleiterin gibt es viele administrative Aufgaben, Jahrgang: 1969 20 Prozent aller Gründer schaffen. An der schicken, das sie selbstständig verknüpft
Messungen müssen ausgewertet und Anträge und Veröffent- Wohnort: Berlin-Schöneberg TU haben Bailly und Kock gemeinsam Früher hat er Kampfsport betrieben, Kara- und jeweils passgenaue Ergebnisse lie-
lichungen geschrieben werden, sodass ich heute größtenteils im Beruf: Kristallzüchterin Informatik studiert und gemeinsam ihre te. Lange her. Aus dem Vorsatz, zu zweit fert. Dass dies automatisch geschieht und
Markenzeichen: Läuferin
Büro und nur noch relativ wenig im Labor bin. Geschäftsidee entwickelt. Mittlerweile regelmäßig zu laufen, ist nicht viel ge- nicht immer wieder manuell program-
besteht Sota im fünften Jahr, seit Anfang worden. Firma frisst Freizeit. Worum es miert werden muss, spart erhebliche
2012 ist es in Adlershof. dabei geht, verbirgt sich in dem Kürzel Summen.
Sota Es steht für „State of the Art“. Frei
IM GESPRÄCH „Wir haben lange über unseren Zielmarkt übersetzt: „So machen wir das heute – Zunächst waren vor allem Energiever-
weg von Handwerk und Einzelstückferti-
diskutiert“, erinnert sich Kock. „Grenzen
sorger interessiert. Zunehmend kommen
überwinden“, sagt Bailly, „sowohl äuße-
re als auch innere, das ist ja auch immer gung, hin zur Automatisierung.“ Lernfä- Industriekunden hinzu. Die „selbstler-
hige Software, die in historischen Daten
nende Maschine“ ist ein Zukunftsthema:
Seit wann arbeiten Sie in Adlershof? Außerdem lese ich gern und viel. Manchmal auch nachts, wenn Thema beim Gründen.“ Nicht nur dort: Zusammenhänge erkennt und sich so „Wir haben heute viel größere Unterneh-
Das sind jetzt 18 Jahre. Nach meiner Doktorandenzeit am Fritz- ich nicht schlafen kann. Einer meiner Lieblingsautoren ist Paul Unter dem Teamnamen „Powernerds“ die Fähigkeit zu immer genaueren Pro- men als Kunden, werden am Markt nicht
Haber-Institut war ich erst als Postdoc am Hahn-Meitner-Institut, Auster, ein US-amerikanischer Schriftsteller. sind die beiden im vorigen Oktober gnosen antrainiert, das ist das Produkt. mehr als Start-up wahrgenommen.“ Eine
das im heutigen Helmholtz-Zentrum Berlin aufgegangen ist. Seit Wofür können Sie sich begeistern? zur „KrassFit-Challenge“ angetreten. Abnehmer sind etwa Betreiber von Solar- Wachstumsgeschichte also doch. wid
2004 forsche ich am IKZ.
Ich mag Fußball; mit 16 Jahren fing ich an, im Verein zu spielen.
Ihr Lieblingsort in Adlershof ist … Während meiner Doktoranden- und Postdoc-Zeit bis Anfang
… der Landschaftspark. Manchmal gehe ich in meiner Mittags- 2000 habe ich als Mittelfeldspielerin im Mariendorfer Sport-
pause dort eine Runde spazieren. verein gekickt. Seitdem ich Kinder habe, betreibe ich weniger
verletzungsintensive Sportarten. Fußballfan bin ich vom MSV
Wie kommen Sie zur Arbeit? Duisburg, der leider nur in der 3. Liga spielt.
Ich fahre mit der S-Bahn bis Schöneweide und von dort mit dem Was hat Sie zuletzt wirklich bewegt?
Fahrrad bis zum IKZ. Der Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine Mitte März
Wann haben Sie zuletzt etwas Neues ausprobiert? über den Alpen in Südfrankreich ging mir nah. Furchtbar, dass
Letzten Sommer auf Korsika war ich mit meiner Familie beim so viele Schüler dabei umgekommen sind. Als mein Sohn kurz
Canyoning. Erst klettert man eine Schlucht hoch, dann springt, danach allein wegflog, hatte ich schon ein wenig ein mulmiges
rutscht und seilt man sich über ausgewaschene Felswände und Gefühl, auch wenn der Verstand sagt, dass das Flugzeug das
Wasserfälle ab. Trotz Neopren-Anzug war es ein eiskaltes Vergnü- sicherste Verkehrsmittel ist.
gen. Wohin würden Sie auswandern, wenn das einmal ein Thema
werden sollte?
Wie verbringen Sie Ihre Freizeit? Nach Frankreich, dorthin haben wir eine besondere Beziehung.
Mit zwei Kindern ist die gut gefüllt. Außerdem gehe ich regel- Mein Mann ist Deutscher, spricht aber wie ein Muttersprachler
mäßig laufen und nehme seit ein paar Jahren am Berliner Halb- Französisch. Mit unseren Kindern redet er ausschließlich Fran-
marathon teil. Nur dieses Jahr war ich nicht dabei, ich hatte kei- zösisch. Daher wachsen sie zweisprachig auf, gehen auch auf
nen Startplatz mehr bekommen. Dafür laufe ich am 10. Mai die eine bilinguale Schule. Ich verstehe viel Französisch und höre viel
25 km beim BIG 25 Berlin mit. französische Musik. Beschreibung Fotos
Sie lieben Herausforderungen: Kolja Bailly und Peter Kock in der
Schlammgrube zur KrassFIT-Challenge 2014
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