Page 3 - Adlershof Journal Mai/Juni 2017
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Adlershof ESSAY
Journal MAI | JUNI 2017
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Ich hatte auch mal richtige Arbeit. Das ist schon lange her. Damals
studierte ich noch und wusste nicht, was ich werden soll. Schrift-
stellerin war gar keine Option. Das wusste doch jeder, dass man
mit Kunst kein Geld verdienen kann. Aber weil ich trotzdem Koh-
le brauchte, um meine damaligen Hauptnahrungsmittel Kaffee,
Zigaretten und Apfelsaftschorle zu bezahlen, ging ich in den
6 4 5 Service und wurde Callcenteragent. Sprich: Koalssentaäitschent.
„Telefonfrollein“, sagte meine Großmutter. Drei Tage die
Woche ließ ich mich vier Stunden am Stück von wütenden
INHALT AUS DER REDAKTION Zeitungsabonnenten anbrüllen und versuchte, freundlich
und kompetent zu antworten.
3 ESSAY Dienen auf Augenhöhe „Sie Frollein! Die Zeitung war wieder nich im Kasten.
Ick kündige!“
Als ich mal Telefonfrollein war: Ein Job im Leserservice
Dass wir in einer Dienstleistungsgesellschaft leben, ist keine „Oh je! Das klingt schlecht. Wie ist denn Ihre Kunden-
4 IM GESPRÄCH MIT neue Erkenntnis. Mehr als zwei Drittel der deutschen Erwerbs- nummer? Dann schaue ich mir das mal an.“
Bernd Haase: Gebäudestratege und Partner bei der tätigen verdienen heute ihr Geld mit Dienstleistungen. Den-
Vollack Gruppe „Kundennummer. Weeß ick doch nich. Müller heiß ick.“
noch fallen mir bei diesem Stichwort zuerst der Friseur, die Das Problem war, dass man den Namen Müller in der Daten-
5 MENSCHEN Fast-Food-Kette, der Fahrradverleih oder der Fensterputzer ein. bank nicht suchen durfte, zumindest nicht, ohne noch weitere
Die Datenliebhaberin: Christin Schäfer ist mit ihrer Firma Erst nach kurzem Nachdenken zähle ich auch Steuerberater, Informationen zum betreffenden Kunden einzugeben, Straße
acs plus auf datenanalytische Dienstleistungen spezialisiert Rechtsanwalt, Versicherer und Finanzdienstleister auf, denke an und Hausnummer oder Postleitzahl und Vornamen, einfach aus
das ganze Beratergeschäft, an Übersetzer, an Marketing- und dem Grund, weil es in der Datenbank Müllers wie Buchstaben in
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Serviceoase für Start-ups: Die neuen Angebote vom WISTA Werbeexperten, und lande schließlich bei Forschungsdienstleis- der Zeitung gab. Sonst wäre sofort der Server abgestürzt.
Business Support tern, Daten- und IT-Spezialisten. Meine Liste wird immer länger. „Herr Müller, sagen Sie mir, wo Sie wohnen? Dann finde ich Sie „Frau Schönlein“, sagte ich ruhig, „Sie haben doch sicher ein
Serviceanbieter sind heute oft bestens ausgebildet und in der
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8 Der Wachstumsbeschleuniger: Mit dem A Adlershof Accelerator Regel gut bezahlt. leichter.“ Girokonto?“
in die zweite Runde „Watt fürn Ding? Weiß ick nich“, sagte Frau Schönlein zerstreut.
„Nee, wieso? Soweit kommt’s noch!“
10 NETZWERKE Gleichzeitig geht der Trend in Richtung Do-it-yourself: Wir kön- Die meiste Zeit hat mir der Job im Callcenter Spaß gemacht. Im Ich versuchte es anders.
Über den Tellerrand: Wie die Innovationswerkstatt Schöneweide nen uns ein Haus selbst bauen, unsere Finanzen selbst regeln, Gegensatz zu meinem Germanistikstudium, wo ich mir in über- „Frau Schönlein“, sagte ich, „Sie bekommen doch Rente?“
Industrie und Forschung regional vernetzt auch ohne Fitnessstudio durchtrainiert sein. Die Entscheidung füllten Proseminaren und kryptischen Vorlesungen vorkam wie „Ja“, sagte Frau Schönlein laut und deutlich, offenbar erfreut,
12 NACHGEFRAGT zwischen „selber machen“ und „machen lassen“ fällt oft schwer ein Vollidiot, gab mir der Job im Leserservice das Gefühl, etwas endlich mal eine positive Antwort geben zu können.
Interview mit dem Regierenden Bürgermeister Berlins – es sei denn, Dienstleister schaffen es, sich in andere Menschen Sinnvolles zu tun. Leuten zu helfen. Ganz der Wortbedeutung „Wunderbar“, sagte ich erleichtert. „Und die Rente, wo geht
Michael Müller: Wo setzt der Berliner Senat zukünftig Akzente und Unternehmen hineinzuversetzen, deren Wünsche und Ziele entsprechend. die hin?“
in Adlershof zu verstehen. Der Erfolg ihrer Kunden ist dann auch ihr Erfolg.
Service ist das Abstraktum zum Verb servieren, „auftragen, be-
„Tja“, sagte Frau Schönlein nachdenklich, „meistens kauf ich
dienen“, das, entlehnt aus dem Französischen, seit dem 16. Jahr-
14 UNTERNEHMEN Sachen für meine Enkel. Und mittwochs spiel ick Lotto.“
Gemäß dieser Maxime handelt auch die Betreibergesellschaft
Freies Surfen – überall: Managed Hotspot Services im hundert im Deutschen nachgewiesen werden kann. Es hat die-
Technologiepark Adlershof des Technologieparks Adlershof mit ihren neuen Business-Sup- selbe Wurzel wie das Lateinische servus, was Diener oder Sklave Kurz musste ich meine Stirn auf die kühlende Plastiktischplatte
port-Angeboten. Ob Fördermittelberatung oder Netzwerk-Event heißt. Die bayrische Grußformel kommt übrigens auch da her. meines Arbeitsplatzes legen. Dann ging es wieder.
16 CAMPUS in unseren Titelthemabeiträgen erfahren Sie, wie die WISTA- Übersetzt lautet sie so was wie: „Ich bin dein Diener!“ „Frau Schönlein, passen Sie mal auf“, sagte ich. „Sagen Sie mir mal,
Fachliteratur in Bits und Bytes: Die Bibliothek der Berliner MANAGEMENT GMBH Start-ups und etablierte Unternehmen wo Sie wohnen.“ Ich wollte das Probeabo einfach manuell been-
Humboldt-Universität ist gefragter denn je Ein anderes Mal hatte ich eine alte Dame am Telefon, nennen wir
unterstützt. Außerdem stellen wir einen Gebäudestrategen, den und die Rechnung rausnehmen. Das konnte hier alles nicht
sie Frau Schönlein. Sie wollte wissen, an welche Adresse sie die
18 MEDIEN eine Datenexpertin und zwei Medienprofis vor. 17,50 Euro für ihr Probeabo schicken soll. Sinn der Sache sein.
Das Mutterschiff: Konzertfilme und Musikvideos
Last but not least haben wir Berlins Regierenden Bürgermeister „Nicht schicken, Frau Schönlein“, sagte ich. „Überweisen müssen „Meine Adresse?“, rief Frau Schönlein. „Au, das ist fein! Kommen
Sie mich besuchen? Ich werd gleich mal gucken, ob ich noch
20 PORTRAIT Michael Müller, der Mitte April den Technologiepark Adlershof Sie das Geld.“
Polyglott in Adlershof: viadrina sprachen GmbH jetzt mit besucht hat, zum weiteren Engagement des Berliner Senats in Kekse im Schrank hab. Momentchen ...“
Dependance in Adlershof der Wissenschaftsstadt befragt. Doch Frau Schönlein hatte andere Pläne. Die Verbindung wurde unterbrochen. Entweder hatte Frau Schön-
„Ich hab jetzt den 20-Euro-Schein in den Briefumschlag ge- lein beim Kekse suchen das Telefonkabel aus der Wand gerissen
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Ich hoffe, Sie fühlen sich gut bedient mit einer neuen Ausgabe steckt“, erklärte sie mir munter. „Ist auch schon zugeklebt. Soll ich oder den Hörer auf der Gabel „abgelegt“. Wir werden es nie er-
Sicher im OP: Chirurgische Handschuhe von „Smarterials Technology“
schützen vor Nadelstichen. vom Adlershof Journal. Ihren Namen raufschreiben? Das Restgeld dürfen Sie behalten. fahren. Auf jeden Fall wünsche ich ihr alles Gute. Und viel Glück
Können Sie sich ein Blümchen von kaufen. Fürs Fensterbrett.“ im Lotto.
22 KURZNACHRICHTEN
Ich atmete leise ein und aus. Ich schätzte Frau Schönlein auf Ende Lea Streisand ist eine Berliner Kolumnistin, Moderatorin und
Ihre achtzig. Welcher unseriöse Verkäufer drehte einer so alten Dame Schriftstellerin. Seit 2014 spricht sie die wöchentliche Kolumne
Ausführliche Texte und Adlershofer Termine finden Sie unter: Sylvia Nitschke ein Probeabo an? Bestimmt hatte sie es noch nicht mal gekündigt. „War schön jewesen“ bei Radio Eins.
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