Page 5 - Adlershof Journal März/April 2017
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INTERVIEW  Gespannt	auf	„Tannhäuser	und	der	Sängerkrieg	auf	                                       MENSCHEN
                                                                                                    MENSCHEN
 Wartburg“: Tobias Kirschnick in der Deutschen Oper
 Informationsaustausch  laden  wir  dazu
 Referenten  etwa  zu  Fragen  des  Patent-
 rechts,  der  Unternehmensfinanzierung,   Mit Leidenschaft
 der  Fördermitteleinrichtungen  oder  des
 Vertriebs  ein,  die  Start-ups  Tipps  und
 Kniffe aus ihren Arbeitsgebieten verraten.
 Zusammen  mit  Berlin  Partner  und  den    Anton Nagy baut Testanlagen für Chemiekunden
 Kollegen  aus  dem Wista-Team  organisie-
 ren wir Pitches für Gründer vor Industrie-   und ist von Berlin begeistert
 unternehmen und Venture-Kapitalgebern.
 Eine  stärkere  Verzahnung  habe  ich  auch
 mit der Humboldt-Innovation GmbH, dem
 Gründerservice der Humboldt-Universität,
 in Angriff genommen.
 Was ist für Sie die beste Erfindung der Welt?
 Name: Tobias Kirschnick
 Jahrgang: 1978  Der Buchdruck. Wissen haltbar und leicht
           as Berlin der 1990er Jahre: „der Hammer“. Seine damalige
 Wohnort: Wildau   zugänglich  machen,  ist  eine  großartige   Derfolgreiche  Bewerbung  als  Doktorand  am  Fritz-Haber-   Aus den Niederlanden stammt auch sein Doktordiplom, weil die
                                                              deutsche Bürokratie seinen amerikanischen Master nicht aner-
 Beruf: Diplom-Kaufmann  Sache …
        Institut,  das  kollegiale  Miteinander,  das  er  dort  vorfand:  „der   kannte.
 … das heißt, Sie lesen viel?  Hammer“.  Der  neue  Standort  seiner  Firma  in  der  Adlershofer
 Ja. Aber nicht auf dem E-Reader, ich neh-  Barbara-McClintock-Straße: „eine Hammerhalle“.  „Sofort verliebt“, wie er sagt, hat sich Nagy, als er 1995 als Dok-
 Im Gespräch mit   me  lieber  ein  schön  gestaltetes  Buch   torand  nach  Berlin  kam.  Die  Braunkohlegerüche  damals,  die
 in  die  Hand.  „Die  13½  Leben  des  Käpt‘n   Wer Anton Nagy begegnet, erlebt einen Menschen, der sich für   „zerlöcherten Häuser“, die Punk- und Technoschuppen: „Mit
 TOBIAS KIRSCHNICK  Blaubär“ von Walter Moers habe ich jetzt   vieles begeistern kann. Für Punk und Techno: „Ich bin mindestens   Abstand meine Lieblingsstadt.“ Nach wie vor.   wid
 erst wieder gelesen. Ich mag auch Robert
        einmal im Monat im Berghain.“ Für die Berliner Philharmoniker:
 van  Guliks  Krimireihe  über  den  chine-
 sischen  Richter  Di.  Diese  Krimis  haben   „Ich liebe Musik.“ Für gutes Essen: „Ich koche leidenschaftlich.“
        Für  das  Grün  und  die  Gewässer  des  Berliner  Umlandes.  Nicht
 Er leitet seit Oktober vergangenen Jahres das Innovations- und Gründerzentrum   mich  u.  a.  dazu  inspiriert,  Sinologie  zu   zuletzt für seine Wissenschaft, die ihn als Unternehmer ernährt,
 (IGZ) in Adlershof. Im Interview skizziert Tobias Kirschnick seine Pläne für dessen   studieren.  Allerdings  nur  für  ein  Jahr,   die technische Chemie.
 Umgestaltung. Der Enddreißiger punktet nach dem BWL-Studium an der Freien   dann bin ich auf Betriebswirtschaftslehre
 Universität Berlin, Etappen als stellvertretender Geschäftsführer im Jugendauf-   umgeschwenkt.  Nagy  ist  Geschäftsführer  und  zu  55  Prozent  Eigentümer  der
 bauwerk Nauen und eigenen Gründerfirmen mit Erfahrungen, wie man ein Unter-  Was wollten Sie als Kind werden?  Firma Integrated Lab Solutions (ILS). Sie produziert mit 30 Be-
 nehmen gründet, führt und manchmal auch – leider – liquidieren muss.  schäftigten passgenaue Versuchsanlagen für Kunden aus Che-
 Naturforscher. Tiere fand ich spannend.
        mie,  Petrochemie  und  Pharmazie.  Testgeräte  für  Abgas-  und
 Ist Ihr Tierinteresse erloschen?  Schadstoffmessungen, für Energiespeicher, umweltverträgliche
 Was qualifiziert Sie zum Chef des IGZ?  scheiden  lassen,  ob  beispielsweise  das
 Tiere  interessieren  mich  immer  noch.  In   Technologie sind die Spezialität des Unternehmens.
 Meine  Erfahrungen,  die  ich  einbringen   neue Sportschuhmodell in blau-gelb oder   Büchern. Vor Hunden habe ich Angst und
 möchte.  Ich  habe  selber  schon  gegrün-  rot-schwarz  produziert  werden  soll.  Wir   auch die Katze meiner Eltern mochte mich   Angefangen hat Nagy 2003 in einem Gemeinschaftsbüro hin-
 det,  kenne  die  typischen  Gründerproble-  hatten für unsere App 20.000 Nutzer an-  nicht.  Meine  beeindruckendste  Erfah-  ter  einer  Moschee  am  Kottbuser  Tor,  wo  der  Schreibtisch  für
 me  und  die  Gründerszene  in  Berlin.  Das   gepeilt. Diese Zahl konnten wir nicht er-  rung  mit  Tieren  machte  ich  im  Ngoron-   80  Euro  zu  mieten  war,  mit  einem  türkischen  Steuerberater,
 Vertrauen  zu  den  Jungunternehmern  ist   reichen und haben daher einem Schluss-  goro-Krater in Tansania. Dort ist es wie im   einem  türkischen  Familienberater,  einer  Internetfirma  als
 damit schnell aufgebaut. Ich schaue nicht   strich gezogen.  Paradies:  Zebras,  Büffel,  Gnus,  Antilopen,   Nachbarn  und  mit  50.000  Euro  Startkapital  –  Geld,  das  die
 nur  auf  die  tollen  Ideen,  sondern  lenke   Gibt  es  mit  Ihnen  auch  einen  Tapeten-  Löwen, Hyänen, Elefanten, …  kroatische  Oma  als  Putzfrau  in  Chicago  zusammengespart
 den Blick auch auf ihre Markttauglichkeit.     wechsel im IGZ?  Lieben Sie Fernreisen?  hatte.  Nagy  arbeitete  zunächst  allein,  entwarf  seine  Anlagen,
 Außerdem  macht  es  mir  unheimlich    kümmerte  sich  um  den  Vertrieb.  Produzieren  ließ  er  in  der
 Das Haus war der erste Neubau im Tech-
 Spaß,  so  nah  dran  zu  sein  an  den  Grün-  nologiepark  nach  dessen  Gründung.    Ich finde, in Deutschland gibt es wunder-  Schweiz und den Niederlanden.
 dern,  die  die  Welt  ein  kleines  bisschen    Jetzt,  nach  über  25  Jahren,  bedarf  es  ei-  bare  Reiseziele.  Ich  muss  nicht  weit  weg
 verändern wollen.   fahren, um etwas zu erleben. In Tansania   Vom Kottbuser Tor – „da wurde ständig eingebrochen“ – ging es
 ner  Frischekur.  Dazu  gehören  bauliche   war ich zwei Mal, immer über Jugendpro-  in die Kreuzberger Oranienstraße. 2013 weckte ein neues Objekt
 Was ist aus Ihrer Gründung geworden?  Sanierungen,  ein  umzugestaltender  Ein-   jekte der evangelischen Kirchengemeinde,   seine Begeisterungsfähigkeit: der Standort Adlershof mit seiner
 gangsbereich, die Schaffung neuer Labor-
 Alles was man als Gründer tut, dauert län-  der ich angehöre. In der Partnergemeinde   Fülle  an  Möglichkeiten.  Mit  15  Beschäftigten  zog  die  Firma  in
 kapazitäten  und  auch  strukturelle  Ver-
 ger als man erwartet hat. Zum Schluss hat   in Tanga  haben  wir  ein  Internetcafé  auf-  die Max-Planck-Straße. Ein Jahr später beschloss Nagy, in Berlin
 es an Zeit und Geld gemangelt. Ich habe   änderungen.  Ich  plane  z.  B.  einen  ‚Open   gebaut, Flächen für ein Schulbau gerodet,   auch zu produzieren. Eine passende Halle fand sich: „Adlershof
 Space‘. Das ist quasi ein großer Arbeits-,
 zusammen  mit  meinem  Bruder,  der  In-  aber  auch  Ausflüge  in  die  Nationalparks   war wirklich wichtig für uns.“
 Sozial-,  Kontakt-,  Informations-,  Spiel-
 formatiker ist, die DecidR Entscheidungs-  gemacht.
 und  Entwicklungsraum  für  Gründungs-
 findung  UG  gegründet.  Die  Idee:  Wenn   Was machen Sie in Ihrer Freizeit?  Anton Nagy ist US-Bürger, ein Kind von Flüchtlingen. Er hat es
 willige,  ideal  für  Gründerteams,  die
 jemand  zögert  und  sich  bei  den  Dingen   noch  keinen  Businessplan  ausgearbeitet   Ich habe seit meiner Kinderzeit Judo, dann   nicht vergessen. Der Großvater hatte im Kroatien des Zweiten
 des  Alltags  nicht  entscheiden  kann,  z.  B.   Weltkrieges auf der falschen Seite gekämpft, seine Witwe ent-
 haben,  sondern  erst  im  Ideenstadium     Kung  Fu  und  schließlich  Wing  Tsun  trai-
 ob er Pasta oder Pizza zum Mittag essen   kam mit dem kleinen Sohn nach Österreich, landete schließlich
 stecken.   niert. Zurzeit pausiere ich, will aber wieder
 soll,  hat  er  die  Möglichkeit,  über  die  von   anfangen. Auch als Ausgleich zu meinem   in Chicago. Dort wurde der Enkel vor 46 Jahren geboren, begann
 uns entwickelte App das Votum der Com-  Wie sieht das IGZ-Veranstaltungs-   zweiten Steckenpferd: Kochen.   sein Studium als Chemieingenieur. Doch es hielt ihn dort nicht.
 munity  zu  erfragen.  DecidR  ist  nicht  nur   angebot aus?
 eine  App  für  Unentschlossene.  Es  steckt   Alles  rund  ums  Netzwerken  wird  hier    Was können Sie gar nicht?  „Einstiegsdroge“ für Europa war 1993 ein dreimonatiger Aufent-
 auch ein Mehrwert für Unternehmen da-  großgeschrieben.  Regelmäßige Treffen,   Ich kann weder singen noch habe ich ein   halt als Student in Delft. Später kehrte er zunächst als Prakti-
 hinter. Vor einer Produkteinführung könn-  wie  etwa  ein  Gründerfrühstück,  sind  in    musikalisches Gehör. Aber ich brenne seit   kant, dann als Forscher bei Shell in Amsterdam in die Niederlan-
 ten  Unternehmen  die  Nutzer  so  mitent-   Vorbereitung.  Neben  dem  zwanglosen   ein paar Jahren für die Oper.   de zurück. Die Sprache beherrscht er fast akzentfrei.   Anton Nagy hat Spaß am Kochen
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