Page 12 - Adlershof Journal November/Dezember 2018
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FORSCHUNG
Ohne Glas
geht es nicht
Wenn Ralf Müller über Glas spricht, gerät er leicht ins
Schwärmen. „Ein faszinierender Werkstoff, deutlich
leichter als Stahl und auch fester“, sagt der Leiter des
Fachbereichs 5.6 Glas der Bundesanstalt für Material-
forschung und -prüfung (BAM) in Berlin Adlershof –
und fügt hinzu: „In der Theorie!“ Daran, sich dieser
theoretischen Festigkeit anzunähern, forschen Müller
und seine Kollegen. Eingebunden in ein Schwerpunkt-
programm der Deutschen Forschungsgesellschaft
(DFG) untersucht die BAM gemeinsam mit der Techni-
schen Universität Clausthal und der Leibniz Universität
Hannover, wie Glas bruchfester werden kann.
Christian Meyer (l.), Stefan Reinsch (r.) und Carsten Blaeß (hinten)
beim Guss von Glasblöcken
besonders kratzunempfindliches Glas, Spezialglas schützt
die Kamera der Raumsonde Juno, die seit 2016 Bilder vom
Jupiter sendet. In elektronischen Bauteilen, als Displayglas
von Mobiltelefonen, Fernsehern und Computern, als Baustoff,
Lotglas oder gar als Implantat ist Glas nicht mehr wegzuden-
ken. „Ohne Glas geht es nicht“, sagt Ralf Müller. „Es ist sehr
wandlungsfähig, verträgt hohe Temperaturen, ist formstabil
und vielfältig formbar, als Verpackungsmaterial absolut gas-
dicht, geschmacksneutral, ohne Wechselwirkungen mit ande-
ren Materialien, dazu sehr gut recycelbar.“ Aber: Es bricht.
Die Glasforscher Tina Waurischk und Ralf Müller Auch wenn Glas sehr hohe Festigkeiten erreichen kann, kann
diese Stärke, hauptsächlich wegen seines schwachen Wider-
standes gegen Oberflächenschäden, kaum genutzt werden.
Wie gefährlich diese Schäden sind, darauf hat Wasser einen
Vo r 3.000 bis 4.000 Jahren haben die Ägypter und Mesopotamier entscheidenden Einfluss. Schon mikroskopisch kleine Risse
die Herstellung von Glas erfunden. Aber schon Steinzeitmenschen und deren Wachstum werden etwa von der Umgebungsfeuch-
haben natürliches Glas als Messer und Schaber eingesetzt. Bis zur tigkeit oder dem im Herstellungsprozess eingeschlossenen
ersten automatischen Flaschenblasmaschine – 1903 – war es ein Wasser stark beeinflusst. Die Untersuchung der Wirkung von
weiter Weg. Heute ist der Werkstoff Glas auch fernab von Fenster-, Wasser auf das Risswachstum führt Experten der Gebiete
Trink- oder Einmachglas so vielfältig verwendbar wie nie. Glas- Festigkeit, Glasstruktur sowie Lösung und Diffusion von
röhren finden Einsatz als Bioreaktoren für die Algenzucht, glas- Wasser in Glas in einem DFG-Projekt zusammen. Dessen Ziel
faserverstärkte Polymere eröffnen neue Möglichkeiten für den ist die Ableitung struktureller Designprinzipien zur Entwick-
Schiffsbau oder den Bau großer Windräder, Smartwatches erhalten lung ultrafester Gläser.
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