Halbzeit auf dem Weg zur Klimaneutralität: Worauf es jetzt ankommt
Impuls von Julia Bläsius, Direktorin Deutschland bei Agora Energiewende
Seit 1990 hat Deutschland seine Treibhausgasemissionen um 48 Prozent gesenkt – fast die Hälfte des Weges zur Klimaneutralität ist somit geschafft. Einen wesentlichen Beitrag dazu leisten Wind- und Solaranlagen. Auch in der zweiten Hälfte bleibt der Ausbau erneuerbarer Energien Basis für eine klimaneutrale Wirtschaft, denn Erneuerbare liefern günstigen Strom für die Abkehr von fossilen, meist importierten Brennstoffen in Gebäuden, Verkehr und Industrie.
So kann der geplante Ausbau von Wind- und Solarenergie den Börsenstrompreis 2030 um fast ein Viertel senken – im Vergleich zu einer Kappung der Ausbauziele. Staatliche Zuschüsse, wie eine Absenkung der Stromsteuer und der Netzentgelte helfen kurzfristig, die hohen Energiepreise infolge der Gaskrise abzufedern. Um dauerhaft günstige Strompreise zu sichern, sind Investitionen in Erneuerbare jedoch am besten geeignet. Laut unseren Berechnungen reduziert ein Euro Förderung den Börsenstrompreis um 1,60 bis 1,90 Euro – je nach Entwicklung der Stromnachfrage.
Zu einem klimaneutralen Stromsystem gehört auch die passende Infrastruktur. Beim Stromnetz gilt: mehr Flexibilität, weniger Kosten. Flexible Verbraucher wie Batterien, Wärmepumpen und E-Autos können Lastspitzen im Netz abfedern. Voraussetzung ist ein modernes Netzentgeltsystem, das Preisanreize für den flexiblen Verbrauch setzt. Ein effizienter Netzbetrieb, auch durch Digitalisierung, reduziert den erforderlichen Ausbau und macht dauerhafte Subventionen überflüssig.
Grüner und günstiger Strom ist die Grundlage für den Umstieg auf klimaneutrale Technologien in Gebäuden, Verkehr und Industrie. Nachdem in der ersten Phase auf dem Weg zur Klimaneutralität CO₂-Einsparungen vor allem auf Angebotsseite – in der Energiewirtschaft – erreicht wurden, ist es nun wichtig, dass auch die Nachfrageseite zunehmend auf klimaneutrale Technologien umstellt.
Rund 80 Prozent der für die Klimaneutralität notwendigen Investitionen tätigen Unternehmen und Haushalte. Davon erfolgen drei Viertel ohnehin im Rahmen geplanter Modernisierungen – etwa beim Austausch von Heizungen oder Fahrzeugen. Hier ist es zentral, dass Entscheidungen schon heute für klimaneutrale Technologien gefällt werden. Das reduziert Emissionen, senkt die Abhängigkeit von Öl und Gas und schützt Verbraucherinnen und Verbraucher vor Preisanstiegen infolge geopolitischer Krisen oder steigender CO₂-Preise. Zudem sind klimaneutrale Technologien auch Treiber für Innovation und stärken langfristig die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein – so schreibt es das Klimaschutzgesetz vor und so steht es im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Dafür sind in dieser Legislaturperiode zentrale Weichenstellungen nötig. Der Staat kann durch einen ausgewogenen Politikmix aus CO₂-Preisen, Marktregulierung, Förderung und Infrastrukturausbau für Planungssicherheit sorgen, Investitionen hebeln und so den Weg zu Klimaneutralität sowohl wirtschaftlich als auch sozialverträglich gestalten. Der Einsatz öffentlicher Mittel sollte ein klares Signal senden: Es muss sich für Unternehmen und Privathaushalte lohnen, in klimaneutrale Lösungen zu investieren.
Julia Bläsius ist Direktorin Deutschland bei Agora Energiewende, einem unabhängigen und gemeinwohlorientierten Think Tank, der wissenschaftlich fundierte und politisch umsetzbare Konzepte und Strategien zur Klimaneutralität erarbeitet.