Okay, Boomer
Interview mit Bessie Fischer-Bohn zum Thema: Generationenkonflikte verstehen und nutzen
Fünf Generationen tummeln sich gerade gleichzeitig auf dem Arbeitsmarkt. Diese Fusion bringt Erfahrungsschätze und Pioniergeist zusammen – gleichzeitig birgt sie aber auch großes Konfliktpotenzial: Denn interessanterweise sorgen nicht die Vielfaltsdimensionen Kultur, Religion oder soziale Herkunft für starke Reibungspunkte – Nein, es ist schlicht das Alter.
Wie kann nun aus dieser Reibung der entscheidende Funke entstehen? “Indem man Altersunterschiede sehr gezielt orchestriert”, sagt Bessie Fischer-Bohn, Prokuristin der WISTA Management GmbH und Repräsentantin der Generation Golf.
Was sorgt für Zündstoff in Multigenerationen-Teams? Wie können sie Gemeinsamkeiten entdecken? Wie zum High Impact Team werden – einem Team, das seine Generationenvielfalt als strategische Stärke einsetzt?
Aktuell sind fünf Generationen auf dem deutschen Arbeitsmarkt: die Stille Generation (1928 - 1945), die Baby Boomers (bis 1964), die Generationen X (bis 1979), Y (bis 1996) und Z (1996 - 2010). Die ersten Gen Alphas, geboren ab 2011, werden frühestens dieses Jahr den Arbeitsmarkt entern. Mit jeder Generation gehen bestimmte Charakteristika einher. Jede erlebt etwas anderes, jede wird unterschiedlich geprägt. Liebe Bessie, wie würdest Du Deine Generation, die Generation X oder Generation Golf, beschreiben?
Sie liegt wirklich zwischen den Welten: Die Boomer haben stark auf Aufbau und Karriere gesetzt. Sie haben viele ihrer persönlichen Bedürfnisse dem Berufsweg untergeordnet. Und so würde ich auch meine Generation beschreiben: Die Gen X ist sehr pragmatisch und zielorientiert. Eine Generation, die tut, was nötig ist. Gleichzeitig ist sie auch eine Generation, die gegen Atomkraftwerke demonstrierte, die eine Friedensbewegung startete. Das habe ich in meiner Jugend mitbekommen. Die Mauer war gefallen, da machte ich gerade Abitur. Es war eine Zeit, in der schon viel infrage gestellt wurde. Trotzdem ist meine Generation noch sehr karrieregeprägt, denke ich. Statussymbole spielten eine wichtige Rolle. An ihnen maß man das Erreichte.
Die Gen X ist eine kleinere Kohorte als die Boomer und Millennials. Sie hat Wirtschaftskrisen miterlebt, Techniksprünge, Arbeitslosigkeit. Angeblich zeichnet die Generation X Unabhängigkeit, Skepsis und ein sehr starker Wunsch nach Flexibilität aus.
Ja, Tschernobyl fiel in meine Jugend, später der Mauerfall. Ich studierte komplett ohne Computer, las Bücher in der Bibliothek – heute unvorstellbar. Ich denke, meiner Generation war aber immer klar: Wir mosern nicht lange, wir kommen damit zurecht. Das erfordert eine hohe Flexibilität. Denkt man an Arbeitsorte: Für uns war klar, für einen guten Job, für Karrieresprünge, ziehen wir auch um. Das ist heute nicht mehr ganz so selbstverständlich. Wir haben uns selbst Flexibilität abgefordert, aber auch unserer Umgebung.
Kennst Du auch die Millennials gut?
Natürlich, sie sind ja die jüngeren Geschwister. Das ist die Generation, die weit mehr Dinge infrage gestellt hat. Das, was die Gen X als gesetzt angenommen hat, haben die Millennials stärker hinterfragt. Auch die Statussymbole, denke ich: "Sind andere Dinge nicht auch wichtig? Geht es nicht auch mehr darum, glücklich zu sein?” Ich überspitze hier ein bisschen. Generell aber habe ich die Millennials als etwas lockerer als meine eigene Generation empfunden. Auch in der Arbeitswelt habe ich den Eindruck, sie gehen ein bisschen entspannter an die Dinge heran.
Die Millennials machen den größten Teil der derzeitigen Belegschaft aus. Sie sind Digital Natives, waren Teenager, als das Internet kam und erwachsen, als Social Media folgte. Es heißt, sie bevorzugen es, kollaborativ zu arbeiten und sinnvoller Arbeit nachzugehen. Viel Geld zu verdienen, sei ihnen weniger wichtig als der Generation Golf. Aber jede Generation erkennt sicher Elemente aus der eigenen auch in anderen.
Jede Generation besteht aus Individuen, die vielfältig unterschiedlich geprägt sind. Aber auch die Millennials hatten ihre Statussymbole, z.B. das iphone, und eben auch einen bestimmten Zeitgeist, der für diese Zeit steht. Bestimmte Werte sind auch geprägt von globalen und regionalen Krisen oder auch Entwicklungen und Innovationen. Sie alle haben Einfluss, ebenso wie die Corona-Pandemie, beispielsweise.
Es wirkt so, als würden sich Golfer und Millennials gut verstehen. Sie wirken zwischen den Boomern und Zoomern wie vermittelnde Sandwich-Generationen. Die Wirtschaftswoche fragte vergangenen Sommer "Warum beharken sich Gen Z und Boomer so?" Wünsche nach einer Vier-Tage-Woche und einem Direkteinstieg in hohe Ämter treffen auf eine Generation, die sich hat alles hart erkämpfen müssen. Wie erlebst Du das im Tagtäglichen?
Ich würde gern auf diese plakativen Stereotypen eingehen: Es wird zwar immer gesagt, die älteren Generationen – Boomer und auch meine – mussten viel dafür tun und wirklich kämpfen, um ihre Ziele zu erreichen. Und die jüngeren Generationen müssten das nicht. Das empfinde ich gar nicht so! Sie arbeiten vielleicht in einer anderen Art und Weise, dennoch hat noch nie eine Generation so viel parallel zum Studium gearbeitet, wie die jetzige. Es wird also nicht weniger gearbeitet. Die Gen Z hinterfragt aber vielleicht mehr: "Wo stecke ich meine Energie rein und warum? Warum mache ich etwas? Ist es für mich logisch oder für meine Familie, meine Umgebung? Passt das zu mir oder nicht?" Ich glaube, die älteren Generationen haben vielleicht gefühlt mehr gelitten, weil sie mehr von dem gemacht haben, wozu sie eigentlich keine Lust hatten.
Die jeweils falsche Vorstellung von der anderen Generationen ist mitunter der Grund, warum es in den Büros teils richtig knallt. Das scheint auch schon immer so gewesen zu sein. 350 v. Chr. soll Aristoteles gesagt haben: "Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere heutige Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen. Wenn nicht die junge Generation anschaue, verzweifle ich an der Zukunft der Zivilisation."
Das passt auch genau dazu, dass sich jede Generation von der vorherigen abgrenzen möchte – und das auch muss. Jede Generation ist anderen Umwelteinflüssen, anderen gesellschaftlichen Strebungen ausgesetzt. Dass ältere Generationen in den Worten von Aristoteles über die jeweils nachfolgende Generation denken, ist auch nur natürlich. Aber Sokrates und Aristoteles haben auch den Untergang prophezeit und damit falsch gelegen.
Was überrascht oder fasziniert Dich an nachfolgenden Generationen? Gibt es etwas, von dem Du sagst, es inspiriert, fordert Dich aber gleichermaßen heraus?
Ich empfinde die jetzige jüngere Generation, die schon in der Arbeitswelt ist oder demnächst kommt, als sehr clever. Sie stellt viel infrage, argumentiert aber auch schlau. Sie geht es anders an, stellt sich den Herausforderungen, ist fleißig und geht ihren Weg. Gleichzeitig zwingt sie aber auch die älteren Generationen durch penetrante Fragen nach dem Warum, ihre eigenen Werte und Herangehensweisen zu überdenken. Insofern, und das mag ich auch total, fordert sie und strengt an.
Was genau empfindest Du daran als herausfordernd?
Es ist, glaube ich, für jede:n, der oder die erst mal davon ausgeht, dass der eigene Weg grundsätzlich der richtige ist, eine Herausforderung, gefragt zu werden: "Könnten wir nicht auch den Weg gehen?" Oder: "Wollen wir es nicht mal anders probieren?" Was mir zum Beispiel mit meinem älteren Sohn häufiger passiert, ist das Feedback, dass sich die Welt zwischenzeitlich weitergedreht hat. Und er zeigt es mir anhand von Fakten. Das Wissen hat sich natürlich total verändert und mein Wissen ist in vielen Bereichen veraltet. Das ist herausfordernd und es lässt sich, je nach Tagesform, auch besser oder schlechter aushalten. Denn eine:n selbst zwingt es natürlich zur Reflexion und einzugestehen: "Ja, das stimmt. Du hast recht, ich habe Unrecht."
Du arbeitest in einem sehr großen Umfeld hier im Technologiepark Adlershof. Wie viele Mitarbeiter:innen und Generationen seid Ihr?
Mit den Studierenden ungefähr 29.000. Es sind alle Generationen vertreten: Teils arbeiten hier Gründer:innen, die vor 30 Jahren mit ihren Unternehmen starteten, und jetzt, mit Mitte 80, weiterhin hier arbeiten. Wir haben Schülerlabore und bieten Veranstaltungen für Schüler:innen an. Auch bei der "Langen Nacht der Wissenschaften" sind die Jüngsten dabei.
Um die Stimmung, Entwicklungen und Bedarfe am Standort zu erfassen, macht Ihr regelmäßig Umfragen, darunter das "Beschäftigtenbarometer 2.0". Ihr fragt darüber verschiedene Themen ab – auch, wie die Zusammenarbeit funktioniert. Was verraten Dir die Zahlen zum Thema Generationen?
Richtig, wir haben auch abgefragt, ob überhaupt Konflikte erlebt wurden und woraus sie im kollegialen Miteinander entstehen. Was uns wirklich gewundert hat – denn wir sind ein sehr vielfältiger Standort und veranstalten unter anderem die Diversity Conference mit allen Diversitätsdimensionen – ist: 66 Prozent der hier Tätigen gaben an, schon mal einen Konflikt aufgrund von Generationenthemen erlebt zu haben. Das ist eine relativ große Zahl, die mich total überrascht hat – wobei sie es nicht sollte: Wir sind eben sehr viele Generationen hier. Ich hatte aber ganz andere Konfliktauslöser im Kopf: kulturelle Vielfalt beispielsweise. Aufgrund der Ergebnisse haben wir beschlossen, uns verstärkt dem Thema Generationen hier am Standort zu widmen: Die WISTA veranstaltet am 7. Mai eine “Diversity Conference” mit Panels, Masterclasses und Keynotes rund um das Thema Generationenvielfalt. Das Motto lautet "Sharing Differences".
Damit widmet Ihr Euch dem Thema in einem sehr großem Rahmen. Schaut man sich die tagtägliche Zusammenarbeit an, bei der fünf Generationen zusammen Lösungen erarbeiten, Arbeitsergebnisse liefern und dabei effizient sein müssen, hast Du im Vorgespräch gesagt: “Generationenvielfalt muss geführt und schlau orchestriert werden”. Wie genau?
Ich denke, als Führungskraft ist es wichtig, zunächst mal festzustellen, wie verschieden das Team ist und dann herauszufinden, unter welchem Dach es zusammengebracht werden kann. Was sind gemeinsame Ziele? Das gilt für ein Unternehmen, das gilt für einen Bereich, das gilt für ein Team. Diese Ziele müssen allen bewusst sein. Als Führungskraft bin ich dafür verantwortlich, dass ich diese Ziele so übersetze, dass auch jede:r sie versteht. Adlershof ist bekannt für intrinsisch motivierte Kolleginnen und Kollegen, die sich einbringen wollen, was bedeutet: Jede Generation wird das einbringen, was sie kann. Der nächste Schritt ist, ein Klima zu schaffen, in dem man sich gegenseitig zuhört, sich gegenseitig versteht und Formate schafft, die Durchlässigkeit erlauben. So kann jede Generation ihren Input auf ihre Art und Weise einbringen. Ich las in der Vorbereitung zum Interview, dass die klassischen Boomer oder auch meine Generation, für Meetings eine Agenda aufsetzen. Sie möchten so sicherstellen, dass ein Meeting auch effektiv abläuft. Man geht die Agenda durch, dann stellt man einen Projektplan mit Meilensteinen auf. Es gibt aber jüngere Generationen, die an diese Art und Weise des Arbeitens nicht richtig andocken können. Oft fangen sie auch einfach an, ohne eine solide Basis zu bauen. Sie haben eine innovative Idee und testen sie nach dem Motto “Lass uns das doch mal ausprobieren!”. Führungskräfte sollten dann überlegen, wie sie eine agile Methode mit einbringen können. Wie können sie Meeting-Formate so öffnen, dass sie Kreativität und Innovation mit Erfahrung, Sicherheit und Struktur verbinden? Schaffen sie es, Bewährtes mit Out-of-the-box-Denken zu verbinden, können sie, glaube ich, etwas Sinnvolles entstehen lassen, was auch die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen sichert. Denn es stellt sich auch immer die Frage als Führungskraft: “Wie schaffe ich den Anschluss an eine Welt, die sich weiterentwickelt?”.
Ich höre raus, man sollte voll auf die Stärken der Teams setzen. Liegt der Fokus dabei mehr auf den Stärken der jüngeren Generation, die innovativ denken, schnell handeln und keine Agenda brauchen?
Ja, der Fokus liegt vielleicht auch darauf, denn häufig sind die älteren Generation in den leitenden Positionen. Das heißt, sie haben sowieso die Macht, Meetings, Strukturen und Projekte zu prägen. Meine Argumentation bezieht sich darauf, Strukturen zu finden und zu öffnen, um die zu Wort kommen zu lassen, die noch nicht in diesen Positionen sind.
Du hast das Stichwort “Durchlässigkeit” genannt. Wie kannst Du als Führungskraft garantieren, dass diese Durchlässigkeit wirklich gelebt wird? Welche Elemente gehören dazu?
Ich denke, es müssen die erwähnten Strukturen geschaffen werden, beispielsweise für Meetings. Ein Element kann sein, zum Abschluss eines Meetings immer die Ergänzungen aller Teilnehmenden aufzunehmen. Das mag zu Beginn noch unangenehm sein, aber ist es erst eingeübt, dass sich jede:r noch mal einbringen kann, dann hören die Älteren nochmal den Jüngeren und sie wiederum den Älteren zu. Ein anderes, sehr wichtiges Element ist, dass Führungskräfte natürlich ein Vorbild sein können, indem sie zeigen: "Ich setze mich genauso intensiv mit den Ideen auseinander, die von jüngeren Kolleginnen und Kollegen kommen. Ich höre sie genauso an wie die Älteren. Auch wenn ich zunächst einen Widerstand spüre und über meinen eigenen Schatten springen muss: Auch diese Idee höre ich mir an, wir reflektieren sie gemeinsam und schauen, was sie uns bringen kann."
Du bist Prokuristin, aber auch Human Resources Manager, Mentorin und Psychotherapeutin, arbeitest nie, ohne psychologische und zwischenmenschliche Aspekte außen vor zu lassen. Gleichzeitig denkst Du natürlich auch leistungswirtschaftlich. Arbeiten Multigenerationen-Teams effizienter? Oder sind Generationenkonflikte nicht auch sehr hinderlich statt förderlich für den leistungswirtschaftlichen Effekt?
Diese Frage lässt sich nicht mit "Ja" oder "Nein" beantworten. Ich glaube, wir müssen uns diesem Thema stellen, weil es einfach natürlich ist. Es kommen einfach neue, jüngere Kolleginnen und Kollegen in Unternehmen und wir müssen lernen, wie wir damit umgehen. Wollen wir innovativ arbeiten und an bestimmten Themen, dann ist es unerlässlich – ob multimedial oder inhaltlich – mit jüngeren Generationen zu arbeiten. Ich habe lange in der Unternehmensberatung gearbeitet und dabei im typischen deutschen Mittelstand beobachtet, wie sich Gründerinnen und Gründer ihre Unternehmen erfolgreich aufgebaut, dann aber die veränderten Rahmenbedingungen außer Acht gelassen haben. Die Welt hat sich verändert. Der Vertrieb funktioniert heute ganz anders, als noch vor 30 Jahren. Themen wie Lieferketten und Globalisierung werden völlig anders gehandhabt. Mit jüngeren Kolleginnen und Kollegen können sich Unternehmen den Anschluss sichern. Um sich diese Anschlussfähigkeit, diese Zukunftsfähigkeit zu sichern, sind Unternehmen darauf angewiesen, Menschen aus jüngeren Generationen in verantwortungsvolle Positionen zu bringen. Und auch, um selbst jung zu bleiben. Das wissen alle Eltern, denke ich. Man ist einfach gezwungen, immer wieder neu zu denken. Das gilt auch für Unternehmen. Auch Führungsprinzipien sind inzwischen ganz anders, als sie es vor wenigen Jahrzehnten waren. Die jüngeren Generationen verstehen viel mehr, dass jeder Mensch individuelle Bedürfnisse hat – auch am Arbeitsplatz. Es ist nicht länger so gestreamlined, wie es lange Zeit in Banken, Unternehmensberatungen und Versicherungen der Fall war. Es ist wesentlich vielfältiger – und damit auch für Führungskräfte deutlich klarer geworden: Sie haben ein Team, was unterschiedliche Herausforderungen hat. Mobil arbeiten oder nicht, Ruhe oder Aufregung, viele oder wenige Social Events: Das ist etwas, was die jüngere Generation in den Arbeitsmarkt gebracht hat – diese Aufmerksamkeit an persönlichen Bedarf. Sie wird oft als kompliziert abgetan. Aber dass jede:r etwas anderes will, ist auch eine große Chance.
So profitieren die Generationen voneinander, sie finden auch Gemeinsamkeiten. Eine völlig andere Gemeinsamkeit, die aber auch sehr viele Menschen unterschiedlicher Generationen eint, ist Angst. Greta Silver nannte dieses Stichwort im Vorgespräch zu ihrer Keynote auf der Diversity Conference am 7. Mai: “In jeder Generation gibt es die Ängstlichen: diejenigen, die Angst haben, loszulassen und diejenigen, die Angst haben, deswegen keinen Fuß zu fassen”. Du hast diese Angst sicherlich als Psychotherapeutin oft beobachten. Was denkst Du, wie kann man sich diese Angst nehmen?
Ich denke, das ist eine typische Angst, die man sich durch Austausch nehmen kann – und eben nicht durch Abgrenzung. Denn häufig zieht man sich aus Angst zurück, das ist ein natürlicher Reflex. Ältere Generationen haben beispielsweise Angst, durch die Jüngeren abgehängt zu werden und aufs "Abstellgleis" zu kommen. In der Psychotherapie sagt man aber "Rein in die Angst!" – statt sich zurückziehen, das ist eine gute Formulierung. Reinzugehen, diesen Schritt zu machen und sich zu sagen: "Ich setze mich hin, ich versuche, Gemeinsamkeiten zu finden". Und davon gibt es sehr viele. Ich habe gleich zu Beginn bei der WISTA einen Teamworkshop gemacht, in dem ich sehr willkürlich Pärchen aus Kolleginnen und Kollegen zusammengestellt habe. Die Aufgabe lautete, Gemeinsamkeiten zu finden. Teils waren Menschen, die schon viele Jahre zusammengearbeitet hatten, perplex, wie viele Gemeinsamkeiten sie teilten. Wir müssen uns viel mehr die Frage stellen: “Was habe ich zu gewinnen?”, statt uns von der Angst leiten zu lassen.
Sich selbst zu reflektieren, ist generell ein starker Hebel. Was sind denn weitere Fragen, die Du zur Selbstreflexion vorschlägst?
Zunächst denke ich, sollte in Unternehmen eine Kultur gelebt werden, geprägt von Führungskräften, in der das Hinterfragen von Abläufen normal sein sollte. "Warum machen wir etwas eigentlich so, wie wir es tun?" Das Hinterfragen ist zwar anstrengend, aber wenn es etabliert wird, können sich neue Türen öffnen. Die können sich auch wieder schließen, wenn sich die Art und Weise, wie man schon arbeitet, als richtig herausstellt. Aber es kann auch sein, dass eine Tür geöffnet wird und daraus ein neuer Weg entsteht. Vielleicht weil die Prämissen, unter denen der alte Weg entstand, nicht mehr stimmen. Zu den Fragen, die sich jede:r stellen kann, gehört sicher: "Was kann ich selbst tun, wenn mich bestimmte Eigenschaften oder Themen besonders triggern? Was haben sie eigentlich mit mir zu tun?" Das eigene Empfinden also nicht auf die andere Person schieben, sondern überlegen: "Okay, dieses Verhalten regt mich auf. Welche Glaubenssätze habe ich? Und welche Glaubenssätze werden durch das Verhalten der anderen Person infrage gestellt?" Das ist natürlich Arbeit. Aber gerade bei der Arbeit mit Generationen, glaube ich, ist das Hinterfragen der eigenen, sehr prägenden Glaubenssätze, total wichtig. Also: "Was ist mein Anteil? Was sind meine Werte? Was halte ich für wichtig?"
Was wäre, wenn man diese 66 Prozent aus dem Beschäftigtenbarometer mit den übrigen 33 Prozent in einem Workshop zusammenbringen würde? Die WISTA Academy bietet ja eine Plattform dafür. Wie könnte ein Format aussehen, die dieses reflektierte Denken etabliert? Was hätte man zu gewinnen?
Ich denke, es könnte ein Mehrgenerationen-Workshop sein, in dem man fragt: Was bringt jede Generation an Positivem in ein Team? Und was rütteln die jüngeren Generationen auch an Festgefahrenem auf? Es könnte ein Perspektivenwechsel geführt werden, bei dem man sich gemeinsam reflektiert und sich darüber austauscht, was für Annahmen, was für Stereotypen man auch im Kopf hat, die vielleicht gar nicht stimmen. Wir machen nun den ersten Schritt bei der Diversity Conference, möchten den Unternehmen in Adlershof aber noch mehr anbieten. Denn Generationenkonflikte können auch Schmerz auslösen, Menschen sehr beschäftigen und auch zu Reibungsverlusten im Arbeits- und Unternehmensergebnis führen.
Würdest Du den Konflikt, über den wir eingangs sprachen – zwischen den Generationen Bommer und Zoomer – als Case betrachten: Was lehrt er Dich für den Umgang Deiner Generation mit der Generation Alpha?
Ein Punkt, von dem ich glaube, dass er immer auf Konflikte zutrifft, ist: nicht zu schnell zu urteilen. Die Gen Alpha ist eine Generation, die extrem Multimedia-geprägt ist. Ihre Leistung, auch was ihren Körperkult betrifft, und ihre Schnelligkeit, auch was Reaktionszeiten betrifft, sind nur zwei Elemente, die zeigen: Die Gen Alpha hat ganz andere Vorzeichen, als ich sie als Jugendliche hatte. Sie ist in vielen Dingen besser, sicherlich in der digitalen Welt. Aber wie steht es um ihr Empathie-, wie um ihr Kommunikationsvermögen? Wie um den direkten Kontakt? Wie liest sie die Stimmung in einem Raum? Kann sie sich einfügen? Ich formuliere damit ein Stereotyp und muss mir bewusst machen: Wie ist denn die Gen Alpha aufgewachsen? Was hat sie geprägt und was bedeutet das? Beispielsweise war die Gen Alpha durch Corona stark in ihrer Entwicklung eingeschränkt. Sie muss einiges aufholen. Was andere mit 12, 13 oder 14 Jahren gemacht haben, wird sie wahrscheinliche erst in der Arbeitswelt kennenlernen. Ich glaube, wir müssen nachsichtig sein und gleichzeitig erkennen, was uns durch die Gen Alpha auch an Fähigkeiten gegeben wird. Das Learning wird eine Mischung aus Wertschätzung der jüngeren Generationen sein und wie wir sie auch ein bisschen an die Hand nehmen, um einen wohlwollenden Umgang pflegen zu können. Dieses Verständnis ist wichtig, damit kriegen wir es auch hin.
Nach den Boomern ist die Generation Alpha die geburtenstärkste Generation aller Zeiten: Mit 2,1 Milliarden ist die Geburtenrate doppelt so hoch wie die der Boomer. Schaut man sich die Zahlen nach Kontinenten an, weist Afrika die höchste Geburtenrate auf. Du warst vergangenes Jahr mit Roland Sillmann auf der IASP-Konferenz in Nairobi, dazu haben wir ebenfalls eine Podcast-Folge aufgenommen. Welche weiteren Erkenntnisse würdest Du gern abschließend teilen?
Wir haben in Adlershof, ergänzend zum "Beschäftigtenbarometer 2.0", eine Jahresumfrage durchgeführt. Dabei erhielten wir ein sehr interessantes Ergebnis, was die Zuversicht hier am Standort betrifft. Es wird oft gesagt, dass die Zukunft negativer eingeschätzt wird, aber der größte Teil der Unternehmen erwartet, dass das nächste Jahr gleich gut oder besser wird als das letzte Jahr. Wir haben nachgefragt, worauf diese Zuversicht basiert: Es stellt sich heraus, dass die Unternehmen auf die Stärken und Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden bauen. Das macht sie zuversichtlich. Ich denke, das ist eine gute Brücke zu den Generationen: Wenn man auf die Stärken und Fähigkeiten baut, die alle Generationen hier mitbringen, dann erwächst daraus eine Zuversicht. Daraus kann dann auch die Innovationskraft entstehen, die wir hier in Adlershof sehen. Und die wir auch benötigen, um zukunftsfähig zu sein.