»Vielfalt ist kein Extra – sie ist unsere einzige Chance«
Ein Gespräch mit dem Diversity-Experten Wolfgang Jockusch über Berührungsängste, inklusive Führung und warum Unternehmen auf Vielfalt nicht verzichten können
Der Begriff Diversität ist in aller Munde – aber was genau bedeutet er eigentlich?
Wolfgang Jockusch: Diversität ist zunächst ein Fakt: Menschen sind vielfältig – immer schon. Leider wird das Thema oft auf einzelne Aspekte reduziert, zum Beispiel auf Gender. Aber Vielfalt umfasst so viel mehr: Alter, Herkunft, Religion, sexuelle Identität, soziale Lage, Behinderung, Kultur – kurz gesagt: alles, was uns als Menschen einzigartig macht. Und: Diversity ist nicht überall gleich. Was in Deutschland sensibel diskutiert wird, ist in anderen Ländern wie den USA oder Indien ganz anders verankert. Ein weiterer Punkt: Vielfalt ist auch sozial konstruiert. Diskriminierung entsteht nicht durch das Merkmal selbst, sondern durch gesellschaftliche Zuschreibungen.
Sie plädieren dafür, das Thema entspannter anzugehen. Woran scheitert das oft?
An Unsicherheit. Viele Menschen – vor allem in Unternehmen – haben Angst, etwas Falsches zu sagen. Sie verstummen lieber, bevor sie anecken. Aber ohne Dialog passiert nichts. Ich arbeite seit fast 20 Jahren im Diversity-Bereich – und auch ich mache noch Fehler. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Vielfalt bedeutet auch Lernbereitschaft. Wir dürfen nicht verkrampfen, sondern brauchen Mut zur Offenheit.
Mit Ihren Unternehmen BAMIK und Diversity Webinars bieten Sie Trainings und Webinare an. Was steht dabei im Fokus?
Wir arbeiten vor allem mit Unternehmen. Es geht uns um den Dreiklang: Diversity, Equity, Inclusion – also Vielfalt, Gleichstellung und Zugehörigkeit. Unsere Formate reichen von Grundlagentrainings über den Umgang mit unbewussten Vorannahmen bis hin zu rechtlichen Fragen, etwa dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dabei schauen wir auf alle Themen und Merkmale wie Alter, Behinderung, Geschlecht, Kultur, Religion oder sexuelle Identität und Orientierung – und wie Diskriminierung am Arbeitsplatz vermieden werden kann.
Wie international sind Ihre Aktivitäten?
Wir sind in Deutschland und europaweit aktiv, aber auch den Vereinigten Arabischen Emiraten, Indien und den USA. Wichtig ist uns dabei: kein Copy & Paste. Diversity-Themen müssen immer angepasst werden. Deshalb arbeiten wir mit lokalen Expert:innen, um Inhalte kulturell sensibel aufzubereiten – und bieten Trainings in verschiedenen Sprachen an. Vielfalt beginnt nicht erst im Unternehmen, sondern schon beim Zugang zu Wissen.
Auf den Diversity-Konferenzen im Technologiepark Adlershof halten Sie Masterclasses zu „Inclusive Leadership“. Was erwartet die Teilnehmenden?
Es reicht nicht, ein diverses Team zu haben – es braucht Strukturen, die diese Unterschiede produktiv machen, wie zum Beispiel Führungskräfte, die zuhören, integrieren, Brücken bauen.
In Adlershof, mit seiner internationalen Forschungs- und Start-up-Szene, ist das besonders relevant. In den Masterclasses geht es darum, wie sich eine inklusive Kultur entwickeln lässt – praxisnah, aber mit Tiefgang.
Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen im Diversity-Bereich?
Ganz klar: Polarisierung. Der Dialog droht zu scheitern, weil wir einander nicht mehr zuhören. Inklusion kann nicht nur auf Minderheiten zielen – sie muss alle mitnehmen, auch die Mehrheit. Sonst entstehen Fronten. Und es hilft auch nicht, wenn beide Seiten nur mit dem moralischen Zeigefinger drohen. Wir brauchen echte Gespräche auf Augenhöhe und den Mut, Vielfalt als gemeinsame Aufgabe zu begreifen.
Was bedeutet das konkret für ein internationales Umfeld wie in Adlershof, aber auch in anderen Zukunftsorten?
Ich mache das am Beispiel der Personalentwicklung deutlich. Dort gibt es zwei kritische Phasen: Recruiting und Retention. Wenn Menschen schon bei der Jobsuche spüren, dass sie wegen Herkunft oder Aussehen nicht willkommen sind, kommen sie erst gar nicht. Wenn sie kommen, dann bleiben sie nur, wenn die Kultur stimmt. Inklusion muss gelebt werden – von der Sprache im Pausenraum bis zur Anerkennung im Team. Dafür brauchen Unternehmen klare Strategien, Offenheit und eine gute Portion Empathie.
Welche Chancen bietet Vielfalt – für Unternehmen, aber auch für unsere Gesellschaft?
Ich drehe es einmal um: Welche Chancen haben wir ohne Vielfalt? Keine. Innovation, Kreativität, Unternehmertum – vieles davon kommt von Menschen mit anderen Erfahrungen, anderen Perspektiven. Gerade in einer alternden Gesellschaft wie unserer ist Vielfalt kein Luxus, sondern Überlebensstrategie. Wer das erkennt und lebt, gewinnt nicht nur neue Talente – sondern auch Zukunftsfähigkeit.
Rico Bigelmann für Potenzial
- Diversity Webinars – Die Lernplattform für Diversity & Inclusion
- BAMIK – Interkulturelles und Diversity Training