Inklusiver Reinraum auf Rädern
Das Start-up Sphaira aus dem Charlottenburger Gründungszentrum CHIC entwickelt Elektromobile für den Patiententransport
Auf Isolierstationen in Kliniken ist der Name Programm. Das wochen- oder sogar monatelange Abschotten von der Außenwelt schlägt kleinen und großen Patient:innen aufs Gemüt. Die junge Sphaira Medical GmbH entwickelt einen fahrbaren Hightech-Reinraum, der die Verbindung zur Außenwelt aufrechterhält. Die Pläne des Start-ups gehen weit darüber hinaus.
MOBY ist ein exklusives Gefährt. Die fast komplett durchsichtige, elektrisch angetriebene Kapsel auf Rädern ist per Joystick steuerbar, verfügt über eine hochwertige Gegensprechanlage und hat selbst für groß gewachsene Menschen genug Kopf- und Beinfreiheit. Wer darin unterwegs ist, atmet sauberste Luft. Über drei Millionen Euro Entwicklungskosten stecken bereits darin. Doch seine Exklusivität macht MOBY nicht aus; es geht im Gegenteil um Inklusion und Teilhabe.
„Die Idee ist in der Pandemie entstanden“, berichtet Janis Münch, Gründer und Geschäftsführer der Sphaira Medical GmbH, die MOBY aktuell im Charlottenburger Gründungszentrum CHIC zur Marktreife bringt. Die Bilder aus Bergamo und Berichte aus Kliniken und Heimen, in denen Menschen einsam mit dem Tod rangen, waren für ihn der Anlass, sich über eine konkrete Lösung Gedanken zu machen. Im Kontakt mit Kliniken wurde schnell klar, dass es sich nicht um ein temporäres Problem handelt, das nach der Pandemie verschwindet. Vielmehr gibt es überall Patientinnen und Patienten, deren Immunsystem so geschwächt ist, dass sie wochen- und oft monatelang isoliert werden müssen. Umgekehrt kommen Patient:innen mit unklaren Symptomen von Fernreisen zurück und werden so lange konsequent abgeschottet, bis eine sichere Diagnose vorliegt. Diese Isolation schlägt aufs Gemüt. Gerade für Kinder ist es sehr belastend, monatelang vom Leben und aus ihren Familien ausgeschlossen zu sein.
MOBY soll das ändern. Ein Prototyp ist bereits auf einer Kinderkrebsstation der Berliner Charité unterwegs. Gesteuert von kleinen Patientinnen und Patienten, die darin keimfreie Luft atmen. Die filtert das nach der Medizinprodukteverordnung zertifizierte Elektromobil mit hochwertigen Luftfiltern und ist sicherer als die Isolierstationen selbst. „Wir erfüllen die Anforderungen der Reinraumklasse 2, die für die Produktion von Mikrochips oder die Montage für Raumfahrzeuge vorgegeben sind“, erklärt Münch. Das Start-up hat bereits Anfragen von Kliniken aus aller Welt. Parallel zur Entwicklung des Gefährts laufen Begleitforschungen, die ergründen, wie der Kontakt zur Außenwelt – Patientinnen und Patienten können mit Moby auch Spazierfahrten außerhalb der Kliniken unternehmen – den Heilungsprozess unterstützt und die Genesung beschleunigt. Das ist wichtig, um perspektivisch eine Kassenzulassung zu bekommen.
Management-Experte Münch und das bereits auf ein Dutzend Köpfe aus acht verschiedenen Nationen angewachsene Team haben im Kontakt mit Kliniken und Investoren viele Anregungen erhalten, die das Profil und die Strategie des Start-ups kontinuierlich schärfen. „Vor allem in den USA fragen Kliniken uns nach autonom navigierenden Fahrzeugen“, berichtet der Gründer. In Krankenhäusern mit 1.000 Betten fallen rund 200.000 Transporte von Patient:innen jährlich an. Personal dafür fehlt. Es wäre eine echte Entlastung, wenn Gefährte à la MOBY diese Transporte übernehmen oder auch gehfähige Patient:innen zur nächsten Untersuchung leiten. Der Bedarf an autonomen Transportern für mobilitätseingeschränkte Menschen und Leitrobotern geht weit über Kliniken hinaus und besteht unter anderem auch in Flughäfen oder Bahnhöfen.
Sphaira geht diese Märkte konsequent an und setzt dabei auf eine Plattformstrategie für MOBY und dessen Ableger. Neben der Hardware-Plattform mit zahlreichen Umfeldsensoren treibt das Team eine Software-Plattform voran, auf der die autonomen Transporte möglich werden sollen. Ein Netzwerk an Kliniken, Technologiepartnern sowie privaten und öffentlichen Geldgebern ist geknüpft. Münch sieht darin nur eine Basis. „Wir werden einen langen Atem brauchen, um im klinischen Bereich Fuß zu fassen“, sagt er. Daher der Blick auf weitere Einsatzfelder mit weniger kompliziertem Zugang. Um sie zu erschließen, braucht es mehr Kapital. Sphaira arbeitet bereits an einer neuen Finanzierungsrunde – damit künftig in ihrem inklusiven Reinraummobil so viele erkrankte Menschen wie irgend möglich ihre Runden im echten Leben drehen können.
Peter Trechow für Potenzial